FLÜCHTIGE SCHWARZE GEDANKEN


Da steht es, ein verlorenes Anarchiezeichen an der Wand. Quer auf der Fassade, ohne Rücksicht aufgesprüht, wird es dem zufällig vorbeilaufenden Passanten aufgedrängt. Es muss wahrscheinlich nachts gewesen sein, als dieser Chaosakt geschah und es wird wahrscheinlich Tag sein, wenn es mit lautem Getöse eines Hochdruckreinigers wieder entfernt wird. Dies muss die Spur eines Egowichsers sein, der seine Zeichen beliebig setzte und das monotone Grau der Fassage mit Rot ruinierte. Die Handschrift des Täters, ich sage dir, es muss die eines Teenagers gewesen sein, denn viel zu schnell geschrieben, manifestiert sie sich als eine beinahe abstrakte Form im Irgendwo. Sein jugendlicher Leichtsinn, der pubertäre Trieb ist Schuld für diesen sinnlosen, zu bestrafenden Gegenwind.

Die Stadt hat einen Körper, ihre Wände sind wie Membranen, so wie die Haut, die das Innere vom Öffentlichen trennen. Jeder Lebensraum ist ein Konstrukt, welcher den Zeitgeist ziert. Und jeder Zeitgeist bringt seine spezifischen Konstrukte hervor. Wird Neues gebaut, wird Altes verdrängt, so sind die Spielregeln. Die ästhetische Umsetzung eines Gebäudes zeigt seine Funktion und seinen Nutzen. Es ist nicht selbstverständlich, dass man einen Kindergarten nicht mehr von einem Bürogebäude, gar von seiner Wohnung unterscheiden kann. War es doch noch so, dass vor einem guten Jahrhundert die Psychiatrie einem Schulhaus glich.

Nicht nur in armen, sondern auch in unseren reichen Städten finden Obdachlose keinen Platz, sie scheinen dafür da zu sein, das man sie noch weiter an den Rand schiebt. So lebt die Hoffnung weiter, dass die Erde eine Scheibe ist und all die Tagediebe dort ins Nichts herunterfallen. Man baut funktionslose, automatische Sprinkeranlagen vor Gebäuden, damit ein Penner, wie ein nasser Hund davon zotteln kann. Auch die Sitzbank ist zur Einsamkeit verdammt, mein Stück-Abtrennung- dein Stück, der heutige Bürger trägt sogar Scheuklappen am Arsch.

Jetzt wo du schon sitzt, schau umher, schau in die Kameras, die dir zunicken. Du kannst nicht, denn sie haben mehr Augen als du.

Wir leben in einer offenen Welt, in der Individualismus mit Egoismus verwechselt wurde. SVP-Plakate schreien von den Wänden, Rechtspopulismus macht sich in den Stuben bequem, geschürt wird Angst gegen Fremdes, Das, obwohl alle wissen, niemand will ein Fremder sein.

Das Irren im Alltag macht müde, will doch jeder nur abschalten, mit dem Blick am Abend in der Hand. Bilder des Krieges bringen keinen schlechten Schlaf mehr, sie sind Gutenachtgeschichten wie die der geilen Körper treibend durch eine reiche Welt.

 

Unsere Augen sind schwarz. Wir sind ausgebrannte Menschen in einer ausgebrannten Welt.

Ana Vujic, Juni 2014