BUCHKUNST

von Daniel Morgenthaler


Basel. Mönche und Nonnen erwartet man hier eigentlich definitiv keine: In der Galerie Guillaume Daeppen ist normalerweise eher der Punker das gängige Rollenbild. Und doch kann es auch hier fast mittelalterlich zu- und hergehen, wie die morgen Freitag eröffnende Ausstellung "Co-Errances" mit Stefane Moscato aus Marseille zeigt.


Denn dieser nimmt Bücher als Unterlage für seine Malerei. Genauso wie das damals Geistliche getan haben, indem sie beispielsweise die Anfangsbuchstaben von Schriften raffiniert ausschmückten und so dem Text gleich zu Beginn eine bildliche Note gaben. Einige Unterschiede gibt es natürlich dennoch zwischen einem fleissigen Mönch und dem Street Artist STF, wie sich Moscato auch nennt - sonst wäre ja auch etwas komisch in dieser Galerie, in der Guillaume Daeppen mittlerweile set 20 Jahren ausstellt.


Jagdfreunden ohne Rehlein
Zum Beispiel illustrierten die Mönche eher ins Buch rein, während Moscato primär mit Schablonen auf die Buchumschläge malt. Und während es früher nicht darum ging, den danach folgenden Inhalt einer Schrift zu ironisieren, hat der Marseiller da weniger Bedenken: "Joies de la chasse" ist etwa als Titel auf einen Leineneinband gedruckt, den er als Leinwand benutzt hat für die Arbeit "Jägermeister Love Song" (2011). Nicht mit putzigen Rehlein aber illustriert Moscato das Cover, sondern mit einer heissen Biene - metaphorisch gesprochen, versteht sich - , die sich einen Hirschschädel vor den Kopf hält. Ja ja, die Jagdfreuden.


Neben den fleischlichen Gelüsten assoziert aber Moscato auch noch Gaumenfreuden dazu: Links unten auf der Buchleinwand prangt das Logo von Jägermeister. Moscato wäre kein Urban Artist, wenn er nicht den nonchalanten Umgang mit Markennamen und -kennzeichen beherrschte: Schliesslich arbeitet er auch oft auf Plakaten ausserhalb des Austellungsraums, wo er permanent in Konkurrenz steht mit der allgegenwärtigen Werbung.


Noch schlimmer als im sogenannten öffentlichen Raum ist der Kampf um Aufmerksamkeit vielleicht nur im Fernsehen: Moscato nimmt in einer anderen Arbeit den Steilpass des übermalten Buches auf - der Titel ist "Cinéma Télévision" - und überkleistert hier das Leinen mit einer männlichen Figur, die einen Bildschirm als Kopf hat. Bei Moscatos Arbeit flimmert der Schirm permanent weiter vor sich hin.


Das Buch als Symbol
Statt dass Moscato also frischen Beton mit Schablonen entjungfert, bleibt er hier quasi im geschützten Rahmen der Bibliothek. Und statt dass er Graffitiwänden neue Schichten aufsprayt, bereichert er die Buchdeckel mit neuen gestalterischen Ebenen. Darin ist er dann wieder dem Mönch nicht ganz so unähnlich, zumal früher oft Manuskriptseiten mehrmals benutzt wurden und in sogenannten Palimpsesten heute noch die Ueberreste der darunterliegenden Schichten erkennbar sind.


"Das Medium Buch interessiert mich einerseits wegen seiner Materialität und seiner Oberflächenstruktur", erklärt Moscato. "Andererseits geht es mir aber auch um das Buch als Symbol. Weil damit Kultur und Vorstellungswelten archiviert und zugänglich gemacht werden, ist das Buch auch eine sehr starke Metapher für die Wissenschaft und das menschliche Wissen." Fast wie aus dem Mund eines mittelalterlichen Geistlichen. Also doch ein Mönch.



@ Daniel Morgenthaler, in Basler Zeitung vom 6. Oktober 2011