ANA VUJIC
 
DIE LETZE SPINNERIN
 
VOLTAGE, Basel
Ausstellungsdauer Dezember 2017 / Januar 2018
 





DIE LETZTE SPINNERIN, exhibition view, Voltage, Basel, December 2017

 

 

 

 


Ana Vujic zeigt ein malerisch-zeichnerisches Tusche-Acryl-Wandbild, in dem Zeitgeschichtliches, Orts- und Geschlechterspezifisches sowie Aktuelles ungemein geschickt und poetisch verwoben sind.


Gleich einem Trompe-l'oeil richtet die Künstlerin Ana Vujic ein Interieur in der architektonischen Wandnische des Raumes ein. Die Grenzen des Bildes zerfliessen und verbinden sich mit Raumelementen wie Stromkasten und Heizungsrohre. Aus dem Raum der Betrachtung wird in einen Betrachtungsraum hinein geführt. Dieser Betrachtungsraum ist vollgepackt mit Apparaturen, die durch Gewinde und Riemen angetrieben werden und mehrere Schaltkästen steuern und führen Energie zu. Als geisterhafte Erscheinung taucht inmitten dieses Werkstatt- und Produktionssettings eine alte Frau auf, die am Spinnrad sitzt. Die von ihr gesponnenen Fäden scheinen das ganze Produktionsgewebe anzutreiben, sodass es ist die alte, freundlich aus dem Bild heraus blickende, vom Leben gezeichnete Frau ist, die hier im Innern die Fäden in der Hand hält. Zudem wird ein Blick nach aussen gewährt: Gleich einer Denkblase ist schräg über dem Kopf der Spinnerin ein Fenster eingefügt, das die Sicht freigibt auf Hochspannungsmaste und ein von zwei Robotern bedientes Fliessband.

 

Hier prallen mehrere Welten und Zeitebenen aufeinander: die Heimarbeit auf die Fabrikarbeit, der natürliche Rohstoff auf das artifiziell Erschaffene sowie das manuell Erarbeitete auf das mechanisch Hergestellte oder das von Robotern Produzierte. So wird der Bogen gespannt von einer frühen Industrialisierung über die ersten Fliessbandarbeiten hin zu einer heutigen Realität, in der durch Maschinen und Robotik die Arbeitskraft des Einzelnen obsolet zu werden droht.

 

Mit dem Titel "Die letzte Spinnerin" werden diverse Fährten ausgelegt: "Spinnerin" die Frau am Spinnrad oder die Frau, die als Künstlerin Gedanken spinnt und in Bilder umsetzt. "Spinnen" anachronistische Tätigkeit, die früher ganze Familien ernährte, Luftschlösser bauen oder sich in der Welt vernetzen. Die "Letzte" diejenige, die die Erinnerung wach hält, vom Verschwinden bedroht ist oder die Einzige, die die Stimme erhebt.

 

Wandfüllend und raumgreifend zugleich ist das Gemälde von Ana Vujic, das ephemer in die Räumlichkeiten des Ausstellungs- und Atelierhauses Voltage integriert wurde. Mit unterschiedlich dicken und eingetrockneten Pinseln ist die Tusche in Schichten aufgetragen und mit weissen Acrylstiften werden Lichteffekte eingefügt. In schwarz und weiss gehalten, nimmt die malerisch-zeichnerische Wandarbeit die grundlegenden Farben der Örtlichkeit auf. Schwarz und Weiss sind die bevorzugten Töne der Künstlerin. Farbenfroh oder bunt können ihre Werke auch im übertragenden Sinn nicht genannt werden. Immer wieder schabt sie an der Fassade eines zufriedenen, behäbigen und verdrängenden Gesellschafts- und Geschichtsbildes. Sie deckt auf und kratzt an, und legt den Finger in kaum verheilte Wunden.

 

Françoise Theis, 2018