GOTT SEI PUNK



Was Punk im Zeitalter des Internet noch - oder wieder - bedeuten könnte, zeigt Guillaume Daeppen in seiner aktuellen Ausstellung.
Ausser mit "tot!" weiss man die Frage "Was ist Punk heute?" kaum zu beantworten: Zu historisch sehen Zeitgenossen mit Irokesenkamm aus, zu zitierfreudig wirken Kunstwerke, die die Schnipselästhetik der Sex-Pistols-Covers bemühen. Der Galerist Guillaume Daeppen könnte aber zumindest einer Art Neo-Punk auf die Schliche gekommen sein: "Ich bin immer auf der Suche nach neuen Künstlern, und so habe ich für diese Ausstellung vor allem auf MySpace oder YouTube recherchiert. Einige der rund dreissig ausgestellten Künstler habe ich erst bei der Eröffnung persönlich kennen gelernt", so Daeppen.


Tatsächlich hat die verpixelte Schmuddelästhetik, die etwa YouTube-Uploads auf den Bildschirm bringen, durchaus etwas hingerotzt Punkiges, eine grossmäulige Direktheit. Kein Wunder, passen die Kunst-Mode-Performances des Kollektivs Salon LIz oder die brachialen Auftritte von Tat2Nois Act auf der Bildschirmpyramide, die einen beim Eintritt in die Ausstellung "Born to Be Punk - Punk Is Dead, Long Live Punk" gleich in Beschlag nimmt, so gut zu Aufnahmen von Sex-Pistols-Konzerten. Bei den analogen Wandarbeiten sucht man den Punk dann schon länger oder findet ihn - eine höchst fragwürdige Gleichsetzung - als Street-Art wieder. Zum Beispiel beim Künstler STF, der seine Motive im mittlerweile etwas abgrefriffenen Strassenchic doch witzig in den Ausstellungsraum transportiert, nämlich auf Buchdeckeln. Thomas Trech dagegen schneidet Teile von Plakatwänden aus dem Strassenbild und verziert sie mit kruden Figuren. Etwas mehr nachdenken muss man bei Eddie Haras Strategie, die Strasse indoor zu holen: Sein Arbeitsmaterial sind Couverts; aus dem Adressfenster schaut einen plötzlich ein Augenpaar wie aus einem Autorückspiegel an.


GEGENTEILIG. Bislang haben die Wandarbeiten den Rückbezug auf arme Materialien gemein, weniger die Provokation, die man von Punk erwarten würde. Das ändert sich bei Jean-Xavier Renaud: Während aber sein gezeichneter Hintern, der gerade einen Orden kackt, zu Punkt-Zeiten wegen seiner Emblemhaftigkeit sicher für Furore gesorgt hätte, haut die Nackheit, die viele fotografische Positionen aufs Tapet bringen, kaum mehr aus den Socken. Besonders dann nicht, wenn sie - wie bei den Bildern von Chocolat_poire - mit der Rausgeputztheit eines Modemagazins inszeniert ist. Gäbe es Punk noch, wären diese Bilder höchstens das genaue Gegenteil.


Dennoch ist Daeppens Punkarchäologie nicht vergebens: Wir wissen jetzt, dass wir den Punk, wenn er je wiederkommt, im Internet erwarten können.


Daniel Morgenthaler
in Basler Zeitung von 26. Februar 2009