Provokation und Tradition


Um den Kunstmarkt schert sich der Franzose Jean-Xavier Renaud wenig. Er malt und zeichnet, was und wie er will. Seine Bilder zielen nicht selten unter die Gürtellinie.


Da stimmt was nicht. Hübsch zwar, der Männerkopf in jenem Porträt, ein Model ohne Zweifel. Doch irgendetwas rinnt aus seiner Nase, igitt. Eine richtige Rotznase. Nicht besser ergeht es seiner weiblichen Kumpanin, in deren Gesicht anstelle von Mandelaugen Mandelkernaugen prangen. Mit Genuss, man merkt es, verfremdet Jean-Xavier Renaud mit seinem Pinsel die Hochglanz-Schönheiten, den ironischen Kommentar stets auf der Zunge liegend. Genauso wenig ist dem Franzosen die Darstellung von Gewalt fremd, oft gepaart mit pornografischen Motiven. Waffen benutzt er als Penetrationswerkzeuge, und Blut darf ruhig auch etwas rinnen. Und dann hängt der Maler seelenruhig das Abbild eines badenden Rehs daneben.


Von den weissen Wänden in Guillaume Daeppens Galerie hat Renaud kaum mehr etwas übrig gelassen, hat zuerst die grossformatigen Gemälde gehängt, dann darum herum seine Arbeiten auf Papier gruppiert. So ergeben sich beabsichtigte und unbeabsichtigte Dialoge zwischen den Werken.


BEOBACHTEND. Renaud stellt sich als guter Beobachter des Alltags heraus, der es ausserdem versteht, die Striche an den richtigen Ort zu setzen. Wenn er neben ein beinahe fotorealistisches Oelbild ein Aquarell hängt, dessen wenige Pinselhiebe beinahe dilettantisch daherkommen, dann weiss der Betrachter, dass diese Schludrigkeit nicht aus Zufall, geschah. Renaud verwendet Bleistift, Tusche oder Aquarell, wo der Gedanke schnell zu Papier gebracht werden soll, und schraffiert mit Pastellkreide oder Pinsel so lange und beinahe kleinlich, wo das Motiv die Zeit erübrigen kann; beim wandfüllenden Familienporträat etwa, das den Titel "Papa, maman, la bonne et moi" trägt. Artig sitzen da die Familienmitglieder auf einem Sofa im jurassischen Häuschen mit Holztäferwänden, zwischen Sohn und Mutter das Hausmädchen in gar nicht jugendfreier Pose, oben und unten ohne. Abgelenkt wird von ihrem unpasenden Anblick scheinbar keiner, den Betrachter mal ausgenommen.


Auch das Selbstporträt des Malers in Christuspose, gekreuzigt zwischen Treppe und Ofenrohr, gibt den schrägen Humor des 31-jährigen Künstlers wieder, zeigt aber auch, woher er seine Inspirationen zieht. Die Ikonografie mittelalterlicher Werke ist ihm genauso wenig fremd wie die moderne Malerei, und immer wieder kopiert er - leicht modifiziert - berühmte Vorbilder, von denen einige mit dem Resultat wohl nur bedingt zufrieden wären.


Karen N. Gering
in Basler Zeitung vom 19. Juni 2008