Joel Eschbach
Wo Diktatur Fakt ist Revolution Pflicht
    
von Tosca Waeber
  
Ein Künstler. Ein Aussenseiter. Ein Mensch mit klaren Wertvorstellungen, ein Kämpfer, der mit seiner Kunst die Leute aus ihrem Alltagstrott in die Realität zurückholt. Eine Begegnung in Zürich.
    Für ihn manifestiert Kunst die Brücke zwischen den Bewusstseinsebenen  der Arbeiterklasse und den akademischen Kreisen. Die Kunstwelt  präsentiert sich seiner Meinung nach sehr elitär. Wissen und Ausbildung  sowie die soziale Stellung in der Gesellschaft scheinen der Schlüssel zu  diesen Kreisen zu sein, die oft allen anderen verwehrt bleiben. „Das  ist der falsche Ansatz. Kunst sollte für jeden verständlich und  zugänglich sein, jeden ergreifen können“. Joel sieht seine Kunst auch  als eine politische Waffe, dabei geniesst er grosse Narrenfreiheit, und  erkennt genau darin extrem viel Potential, die Leute aufzurütteln und  zum Nachdenken anzuregen. Er macht nicht einfach nur schöne Bilder und  Skulpturen, sondern stellt damit alltägliche Probleme in Frage. Der  Verfall der menschlichen Werte ist zurzeit das Thema, welches ihn am  meisten beschäftigt : „Man muss sich einmal vor Augen führen, auf was  die Menschen heute Wert legen. Das Essenzielle gerät meist in  Vergessenheit. Die Werbung besitzt hier einen riesigen Einfluss. Sie ist  in der heutigen Gesellschaft zu einer kleinen Diktatur herangewachsen.  In Endlosschleifen wird uns Tag für Tag eingetrichtert, was wir kaufen  sollen, wie wir auszusehen haben und welche Sicherheiten für uns von  Bedeutung sind“. „Während des Werbers Traum, Menschen gezielt zu  beeinflussen, mittlerweile die Wirklichkeit darstellt, schmeissen wir  mit biometrischen Daten wie Fingerscans nur so um uns und zerfetzen so  die letzten Überbleibsel eines mittlerweile ohnehin illusorischen  Blendwerks namens Datenschutz“. Joel hat keinen Universitätsabschluss,  dafür aber einen unglaublichen Wissensdurst. „Meinesgleichen entwickelt  schnell eine Aversion gegen autoritäre Bildungsstrukturen, und umgekehrt  lassen diese oft wenig Spielraum für freies Denken. Dort heisst es,  Brücken zu schlagen“.
    
    Er besucht Vorlesungen an diversen Universitäten, um aufzuzeigen, dass  er nicht am Abschlusspapier als solchem interessiert ist, sondern  vielmehr am Wissen um des Wissens Willen. In seinem „Selbststudium“  beschränkt sich Joel auf die reine Essenz seiner Interessen. „Viele  Banken und Privatunternehmen sponsern Universitäten mit Beträgen in  Millionenhöhe, und erkaufen sich so ihr Mitspracherecht in puncto  Gestaltung des Ausbildungsprogramms. Heutzutage wird unter einem  wirtschaftsökonomischen Ansichtspunkt gelernt, die kulturellen Fächer  werden zurückgestuft, um gezielter Wissen generieren zu können, das  wiederum dazu da ist, Geld zu schaufeln. Ich denke, dass sich viele  Leute dessen bewusst sind und es stillschweigend, im zwangsläufigen  Austausch gegen Noten, akzeptieren“.
    
  
Zwischen 2007 bis 2013 hat Joel unter dem Pseudonym The Umbrella Kid  hauptsächlich seine ästhetische Bildsprache weiterentwickelt und seinen  roten Faden gesucht. Neulich hat er die erste Ausstellung unter seinem  eigenen Namen präsentiert und damit, wie er selber sagt, seine  künstlerische Jugend beendet. Jetzt fängt er an, mit seiner Waffe, der  Kunst, etwas zu bewirken anstatt „nur“ dekorative Arbeiten zu  präsentieren.
    
    Sein Ziel ist es nun, komplexe Themengebiete, hauptsächlich  soziologischer Natur, einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Nicht  weil er jedem etwas verkaufen will, sondern um allen etwas mit auf den  Weg zu geben. Ein Beispiel : seine Skulptur, das Kreuz : Ein auf dem  Kopf stehendes Kreuz, das nicht religiös, sondern symbolisch zu  betrachten ist, und eigentlich eher eine negative Neigung aufweist. Das  aber durch ein zweites Element zu einer positiven Symbolik  vervollständigt wird. Er zeigt damit auf, dass alles immer eine  Kehrseite hat und es immer beide Perspektiven braucht, um zu existieren.
    
  
Ein Teil von ihm schätzt es, immer wieder an den Rand gedrängt zu werden, um sich wieder seinen Weg freischaufeln zu müssen. Er fühlt sich in seiner Rolle als Aussenseiter wohl und zieht daraus seine eigene Energie. „Die Schäden, die wir unserer Welt zugefügt haben, sind grösstenteils irreparabel. Für die Bevölkerung besteht Hoffnung. Jeder Mensch reagiert auf Sinneserlebnisse wie Bilder, Musik und Worte. Sie mit meiner Arbeit abzufangen, vor den Kopf zu stossen und aufzurütteln, darin sehe ich Potential. Das ist mein Projekt der Zukunft“.
Erschienen in 7SKY Magazine 179  | Februar 2014
    www.7skymagazine.ch