Tribunal
Martin Kasper zeigt in seiner ersten Freiburger Solo-Schau einen Zyklus von stiller Brisanz


Es ist kalt in den Räumen der Freiburger Galerie Foth. Deswegen sitzt Martin Kasper im Mantel am Tisch und schwärmt über einem dampfenden Kaffee von Stanley Kubrick. Oder besser: Er erzählt in stiller Begeisterung, großformatig, aber in sanftem Ton. Wie in Tempera auf Leinwand. Kasper kommt gerade aus dem Kunstverein, wo drei seiner Bilder für die Gruppenausstellung "Flashback" gezeigt werden sollen. Großformatige Architekturszenen, auf denen Menschen in Konferenzsälen hinter weißen Computerbildschirmen sitzen, diffus erleuchtet vom Schein riesiger Wandprojektionen von Kampfhubschraubern und Landkarten. Im Krieg werden Entscheidungen in sterilen Räumen gefällt, die den Unterschied von strategischem Kalkül und Obsession nivellieren. "Dr. Seltsam" lässt grüßen. Aber das, sagt Kasper, sei ihm erst während des Malens aufgefallen, als die Pressefotos, die ihm als Vorlage für seine "Warrooms" dienten, auf der Leinwand langsam ihre Flüchtigkeit verloren und am Ende eine Leerstelle blieb, die wie ein vager Erinnerungsraum klaffte.


Schwebezustand zwischen Realität und Fiktion
Was erzählen Pressefotos, wenn man die tagesaktuelle Information aus ihnen abzieht? Malerei, sagt Kasper, kann darauf keine klare Antwort geben. Aber sie kann Spuren legen: "Durch den Prozess der Verlangsamung und des Weglassens von allem Unwesentlichen, der Malerei ja ist, verlieren diese Pressebilder ihre Eindeutigkeit. Sie verlassen den Zusammenhang, der sie als historische Dokumente wahrnehmen lässt, und geraten in einen Schwebezustand zwischen Realität und Fiktion". Was sich bei Kasper dazwischen auftut, ist ein Assoziationsraum, der sich mit den Bildern aus unserem medialen Gedächtnis füllt, die Atmosphäre schaffen.


Kasper, der 1962 in Schramberg geboren wurde und heute in Freiburg lebt, misst solche Räume schon seit langem aus. Was ihn interessiert, sind die verborgenen Geschichten, die in ihnen hängen geblieben sind wie der Geruch eines Menschen, der eben noch hier war. Lange bauten seine Bilder auf diese Abwesenheit. Er malte klar definierte, aber menschenleere Orte des Durchgangs – Hotellobbys, Tankstellen, Landschaften – und reduzierte sie in Form und Farbe so weit, dass sie zu Vexierbildern zwischen Realismus und Abstraktion wurden. Was dennoch deutlich spürbar blieb, war eine eigentümliche, fast unheimliche Spannung, die diese unwirklichen Szenen belebte. Ein Kritiker prägte dafür sehr passend die Formel "lyrische Sachlichkeit".


In der Galerie Foth sitzt Kasper nun vor seinen neuesten Bildern, und es fällt nicht leicht, sich ihrem Sog zu entziehen, während Kasper erzählt, wie er vor fünf Jahren in einem ehemaligen Kinderkrankhaus in Davos, in dem er ausstellen sollte, an einem Kühlschrank mehrere Passfotos von Kindern entdeckte, die dort einmal behandelt worden waren. "Diese Bilder", sagt er, "waren für mich der erste Impuls, Menschen zu malen". Und auch ein Impuls, sie mit den Mitteln der Malerei in ein Verhältnis zum Raum zu stellen, das auf so exemplarische wie intime Weise von Geschichte geprägt ist.


Tribunal – das Aufeinandertreffen von extremer Nähe und Distanz
Auf spektakuläre Weise ist Kasper das mit seiner jüngsten Arbeit gelungen, die er jetzt in Freiburg vorstellt. Die achtteilge Serie "Tribunal" basiert auf Pressefotos, die Kasper im Verlauf des Milosevic-Prozesses vor dem Internationalen Gerichtshof gesammelt hat. Sie zeigen Prozessbeobachter, Experten und Zeugen. Ihre Gesten sind erstarrt, die Mimik im Sprechen eingefroren. Der gespenstische Stillstand dieser Bilder steht in krassem Widerspruch zu der emotional aufgeladenen Atmosphäre des Prozesses, ermöglicht aber gerade dadurch einen präzisen Blick auf die Gleichzeitigkeit von extremer Nähe und extremer Distanz, die das Geschehen prägt. Wie um ein unsichtbares Zentrum gruppieren sich diese Menschen, die durch Glasscheiben, Pulte und Kopfhörer voneinander getrennt sind. Der Raum, in dem sie sich bewegen, erscheint als eine Black Box, in der alles Gesagte verschwindet, um daraus irgendwann wieder als historische Realität aufzutauchen. Dass sich Martin Kasper vor allem für das interessiert, was dieser Transformationsprozess unterschlägt, verdeutlicht eines der zentralen Bilder seines "Tribunal"-Zyklus. Es zeigt eine junge Frau im Zeugenstand. Sie steht etwas hilflos hinter einem Tisch, flankiert von einem Mitglied des Gerichts. Ihr Blick ist dem Betrachter zugewandt. In der Scheibe, die sie vom Gerichtssaal trennt, spiegelt sich, kaum wahrnehmbar, das Gesicht von Slobodan Milosevic.
Unweigerlich verstrickt Kasper den Betrachter durch diese Raumsituation in einen Dialog von Täter, Opfer und Gericht, der auf beklemmende Weise von der fortgesetzten Gewalt erzählt, die selbst noch diesen vermeintlich sicheren Raum prägt.


Der Raum zwischen den Bildern
Das ist typisch für Kaspers Strategie, und es erklärt zugleich, warum seine Malerei immer wieder als "filmisch" wahrgenommen wird. Durch ihre Reduziertheit und extreme Konzentration produziert sie Bedeutung im Raum, der zwischen den Bildern klafft und den Betrachter mit einschliesst. In Kaspers "Tribunal" gibt es kein Entkommen aus dieser Zwischenzone, die erleuchtet wird vom Flackern zahlloser Erinnerungsblitze an die Nürnberger Prozesse, an Sarajewo und Srebrenica, Eichmann, Chaplins Diktator oder die kalkulierte Architektur von Rechtsräumen. Kaspers Erzählung treibt dabei jedoch nicht auf Vergleichbarkeit zu, nicht
auf das exemplarische Ganze. Im Gegenteil: mit feinem Gespür für das Besondere, das seine fotografischen Vorlagen bergen, seziert er in "Tribunal" aus der visuellen Oberfläche des Kriegsverbrecherprozesses die stillen, konkreten Erzählungen über den Zusammenhang von Verbrechen und Trauma, die darunter zu verschwinden drohen.


Dietrich Roeschmann