Architektonische Schichtungen


Martin Kasper in der Galerie Guillaume Daeppen
Basler Zeitung vom 8. Juni 2000
von Alexander Marzahn


Es sind Stilleben einer verlassenen Architektur: Die machtvoll schweigende Präsenz dieser entleerten Objekte, deren Form sich nur scheinbar in erratischer Suprematie von der umgebenden Natur befreit hat, wird zur Herausforderung für den Betrachter.


Der Himmel, die flüchtige Strasse, der ferne Hügelzug gerinnen zur Kontur, antworten den Bau als Gegenprinzip, das so anders gar nicht sein kann. Ob in fast realistischer Manier gegen den Horizont hin sich erhellend, ob in grösster Abstraktion wie ein Tableau aufgeteilt: Was Landschaft war, zerfliesst in Schichtungen und Relationen, was Bauwerk ist, erkennt sich aus dem Rest. Es bleibt die Frage nach der Rechtmässigkeit einer vorgesetzten Dichotomie von Natur und Kultur, es bleibt die Frage nach der Realität unserer eigenen Bilder.


Perspektivische Strenge
Was sich in früheren Arbeiten des 1962 in Schramberg geborenen, in Freiburg im Breisgau lebenden Martin Kasper als zivilisatorischer Fremdkörper der Umwelt widersetzt, hat sich heute zur Mitteilung eines umfassenden Nebeneinanders enthierarchisiert. Die bei aller Vertrautheit fremd erscheinenden Gebäude des flüchtigen Besuchs – Tankstellen, Terminals, Autobahnrestaurants – folgen einer perspektivischen Strenge und tendieren durch die Reduktion von Farbe und Form unweigerlich zur Abstraktion. Gegen die fast photorealistischen Anleihen (sein Skizzenbuch ist bezeichnenderweise die Kamera) treten diese in einen schwebenden Zustand der Unbestimmtheit.


Architektur wird zur Landschaft
Die Bildformate haben sich konsequent in die Breite gezogen: Wo zuletzt die Auseinandersetzung mit Hodler noch in die Höhe blicken liess, dominiert heutzutage im Stil der nachsuprematistischen Streifenbilder eines Malewitsch die Horizontale. Schatten und Spiegelungen im Wasser, für Martin Kasper lange Zeit wichtige Elemente, sind gänzlich verschwunden, sind zu Flächen nachhaltiger Betonung geworden: Der Einfall des Lichts entzieht sich der Lokalisierbarkeit, tageszeitlose Diffusion jenseits der Bergmannssprache. Architektur wird zur Landschaft, Landschaft zur Architektur, und wo die Grenzen zerfliessen, fällt auch die Ideologie und ihre Kritik.


Es sind Konzentrate einer entpolarisierten Realität, gesichtet und nieder-geschrieben von den sensiblen Fühlern eines Seismographen unserer Gegenwart.