Werkstattbesuch

Ralf Beil, Mai 1996


Ein leichter Geruch von Fäulnis liegt in der Luft. Nein, er sammle keine toten Ratten, sagt Martin Kasper amusiert, es ist der faulig-süsse Duft von Hasenhaut, der sich hier verströmt. Kein Fall für den Tierschutzverein. Kasper braucht den Hasenleim zum Zwecke der Kunst: zum Malen.


Sein Atelier an der Haslacher Strasse in Freiburg verhehlt es nicht. Irgazingelb und Guignetgrün, Ultramarin, Französischer und Gelber Ocker - Pigmente stapeln sich neben Theater- und Tubenfarben. In einem chaotischen Blechdosen-Sortiment rührt Kasper seine Farben an. Erblickt man dann noch die mit Farbwischern und -gerinseln regelrecht beschmierte Stirnwand des Ateliers, man könnte meinen, bei einem der nicht mehr ganz so "neuen Wilden" gelandet zu sein. Weit gefehlt. Die Arbeitswand wird alle paar Wochen weiss gestrichen, und die Bilder, die auf ihr entstehen, sind frei von jedem pompösen Gestus und Geniekult.


ür den angenehm unprätentiösen Martin Kasper, 1962 in Schramberg geboren, hat alles allein bei sich begonnen: "Warum man mit Zeichnen und Malen anfängt? Weil man sich mit sich selber beschäftigt. Mein erstes bewusstes Selbstporträt habe ich mit neun Jahren gemacht." In Karlsruhe hat er dann studiert, in Paris und Stuttgart Stipendium gehabt. Seit 1992 lebt Kasper in Freiburg. Selbstporträts allerdings, die malt er schon lange nicht mehr. "Du beschäftigst dich ja immer mit dir selber. Für mich ist in all meinen Bildern mein Blick drin, und das ist für mich quasi auch ..." - ein Selbstbildnis.


Als er im Vorraum seinen "Leichenwagen" beiseite rollt - ein Holzgefährt, voll beladen mit vermalten Leinwänden, die auf ihre "Wiederbelebung" in einer ausrangierten Waschmaschine warten - und seine grossformatigen Werke der letzten Jahre hervorholt, wird klar, wie sehr sich seine Kunst weiterentwickelt hat. Was in den frühen Werken oft noch stark auseinanderfällt, Idee, Motiv und Malweise, wird in den seit einem Jahr entstehenden Industrielandschaften zunehmend eins.


Wie er zu seinen Bildern kommt? "Ich mache meine Touren, nehm den Skizzenblock mit oder den Fotoapparat." Besonders angetan haben es ihm die elsässiche Kalimine "Rudolphe II" und die Wasserkraftwerke am Rhein. Aber auch in entfernteren Industrie- revieren wie Duisburg oder Halle macht er seine Bildnotizen. Die eigentliche Arbeit im Atelier ist dann wie ein "Filter": Gereinigt von allem Ueberflüssigen, ermalt Kasper sich atmosphärische Realitätskonzentrate industrieller Niemandslandschaften. Weder malt er konzeptuell fotografisch, noch lässt er die Orte in Abstraktion aufgehen. Die emotionale Ausstrahlung ist das Wesentliche. Davon zeugt auch die mittelgrosse Kanallandschaft in verhaltenen Ocker-, Grün- und Blautönen auf der groben bräunlichen Leinwand, die derzeit an der Längsseite des Ateliers hängt. Die flüchtenden Diagonalen der Uferbetonierung lösen einen massiven Tiefensog aus, weit hinten am Horizont duckt sich ein Gebäude. Ob das Bild schon fertig ist? Mal abwarten; noch ist es ganz frisch, da unten könnte noch etwas geschehen. Im Wassergrün hat er an einigen Stellen die Farbe abgeschrubbt. Kasper macht das häufig. Mal lässt er es dann so stehen, mal überarbeitet er die nur leicht pigmentierte Stelle wieder. Die spröde, trockene Leimfarbe, die Kasper vorzugsweise verwendet, materialisiert geradezu die Kargheit, die Leere und Weite seiner seltsam unbestimmten, doch mit spürbarer Spannung aufgeladenen Malräume


Ralf Beil
Badische Zeitung, Mai 1996