Kunstbulletin
Ralf Beil, Oktober 1996


Martin Kasper in der Galerie Guillaume Daeppen


Trotz aller Medienkritik, aller Digitalisierung und Instrumentalisierung der Photographie misstraut man derzeit in der Kunst vor allem der Malerei als scheinbar ausgelaugter Kulturform. Einer, der dieses Misstrauens arbeitet, ist Martin Kasper. Den Freiburger Maler, Jahrgang 1962, reizt wieder einen "neuen Akademismus der Cibachromes", rauschende Multimedialität und entwaffnende Materialschlachten, gerade die Angreifbarkeit, die Blösse und – in seinem Fall spröde – Sinnlichkeit der Leinwandmalerei.


Monadisch lagern die wuchtigen Industriekolosse zwischen Wassergrünblau und Himmels-grau. Langgestreckte Gebäude in distanzierter Totale, weisslich oder ockerfarben, gespiegelt in unbewegt glatten Stauseen und trotz des kleinen Bildformats von mitunter monumentaler Grösse. Nur manchmal schiessen betonierte Uferböschungen diagonal in den Bildraum: Kanalbecken im Perspektivsog, begleitet von gestutztem Grün. Martin Kaspers jüngste Bildreihe – gemalt in dünnen Farbschichten verhaltener Zwischentöne auf grober bräunlicher Leinwand – konzentriert sich fast ausschliesslich auf rigide Wasserkraftwerks-architektur in strenger Frontalität. Ein konzeptueller Ansatz liegt dem jungen Künstler gleichwohl fern. Es geht ihm weder um ein systematisches Erfassen von Industrielandschaft in malerischer Becher-Nachfolge noch um Michael Bachs objektivierende, quasi photo-graphische Umsetzung von Architekturrealität in Öl. Auch wenn Kasper ebenfalls nach Kameranotizen – "Rohphotos" – arbeitet: Jenseits von sachlicher Stimmigkeit und enzyklo- pädischer Dokumentation malt er, pendelnd zwischen Schärfe und Unschärfe, atmospärische Realitätskonzentrate, bei aller Lakonie subjektive Stimmungsbilder.


Es ist wohl kein Zufall, dass sich Martin Kasper ausgerechnet mit Wasserkraftwerken malerisch auseinandersetzt. Die trokenen, nur sparsam mit geschmeidigerer Tempera angereicherten Leimfarben Kaspers materialisieren geradezu die Kargheit und Verschlossenheit dieser Gebäuderiegel. Von schlummernder Kraft und energetischer Dichte, sind es ambivalente Orte im Spannungsfeld zwischen Industrie, Technik und Natur: Grenz-gegenden, zugleich Niemandslandschaften, Orte der Einsamkeit und Verlassenheit – Chiffren eines Weltgefühls machtvoll ohnmächtiger Vereinzelung.


Nur auf den ersten Blick mag überraschen, dass Martin Kasper, Maler der Menschenleere an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, sich für Edgar Degas, den Figurenmaler des 19. Jahrshunderts, begeistert. Seine besten Werke tragen eine Fremdheit und ein Geheimnis in sich wie die rätselhaften Porträts des grossen Franzosen.


Ralf Beil