Treibstoff oder: Die Macht der Farbe


Was verbindet das Trinkwasserreservoir einer kanarischen Insel mit einem Rhône-Kraftwerk und einer Tankstelle im Breisgau? Es ist Martin Kaspers Malerei. Für einige Zeit vereinigt in der Einzelausstellung der Kunsthalle Bremerhaven, beweisen seine Bilder wieder einmal, daß Kunst im besten Fall immer schon das Ereignis einer neuen Perspektive ist.


Martin Kasper selbst spricht von "Malanlässen", wenn die Rede auf seine Motive kommt. Der 1962 im schwäbischen Schramberg geborene Maler lebt und arbeitet in Freiburg, doch er braucht regelmässig Streifzüge und ausgedehntere Reisen, um sich mit dem Basismaterial seiner Kunst zu versorgen. Kameranotizen von Architektur in Landschaft - "Rohphotos", wie Kasper es ausdrückt - bilden die Grundlage seiner malerischen Recherchen, an dessen Ende Realitätskonzentrate von eindrücklicher Intensität stehen.


Paradigmatisch für diesen künstlerischen Destillierungsprozess ist die Leinwand "Flughafen", entstanden im letzten Jahr. Fasziniert von der strengen Glasarchitektur vor sanftem Hügelhorizont, die er bei der Landung auf der Insel Teneriffa vorfand, hat der Künstler binnen Minuten vom Rollfeld aus eine ganze Anzahl Photos geschossen. Später, zurück im Atelier, hat dann die eigentliche Arbeit begonnen: Kasper hat das ausgewählte Motiv von allem berflüssigen, jedem nicht wesentlichen Detail geschieden, es von jeglichen Fahr- und Flugzeugen sowie Menschenansammlungen geleert. So ist am Ende von dem emsigen Touristenumschlagplatz nurmehr ein strenger Gebäuderiegel übriggeblieben, der scharfkantig den Landschaftsprospekt zerschneidet und zugleich dessen Kraftzentrum ist. Die seltsame Spannung, die von diesem Kasper-typischen Querformat ausgeht, wurzelt nicht nur in der pointierten Frontalität des Gebäudes sowie der Leere des Bildes, sondern auch in der eigentümlichen Kargheit der Temperamalerei selbst. Ähnliches könnte man auch von der Leinwand "Sassnitz" sagen, deren kühner Komplementärkontrast sich weder in den ursprünglichen Kameranotizen noch in Goethes "Farbenlehre" im Atelierregal findet. Machtvoll trifft mattiertes Pariserblau und Türkis auf latent giftiges Gelb, umso machtvoller stösst die Landungsbrücke auf der Kaimauer ins schwefelfarbene Nichts vor.


Seit 1995 visualisiert Martin Kasper solche Orte gespannter Ruhe und kurios energetischer Aura. Bis vor kurzem kamen vor allem Kaliminen, Hebewerke, Schleusen, Stauseen und Wasserkraftwerke ins Bild. In jüngster Zeit nun hat er insbesondere den "Malanlass" Tankstelle für sich entdeckt. Nur ein Maler hat vor Martin Kasper Tankstellen derart prominent zum Bildmotiv erkoren: Edward Hopper. Doch wo Hopper mit seiner "Mobilgas-Station" atmosphärisch die Einsamkeit des archetypischen Vorpostens amerikanischer Zivilisation auf die Leinwand bannt, interessiert Martin Kasper etwas ganz anderes. Bei aller Möglichkeit zu atmosphärischer Verdichtung, wie sie sich etwa in "T 10" manifestiert, wo der Gebäuderumpf der Tankstelle unter tristem Graublau mit seinen Fensterschlitzen regelrecht zu äugen beginnt: Martin Kaspers "Tankstellen" sind - wie "T 9" und insbesondere "T 11" belegen - primär Farb- und Formereignisse, die, per se stark gegliedert durch horizontale Lichtbänder und Farbstreifen, in ihrer massiven Frontalität und monumentalisierenden Totale unweigerlich zu bildnerischer Abstraktion tendieren.


Nur auf den ersten Blick mag es verwundern, dass Kasper, befragt nach Malern, die ihn derzeit besonders beschäftigen, ausgerechnet Kasimir Malewitsch und Rupprecht Geiger nennt. Je länger man sich mit seinen neuesten Werken auseinandersetzt, umso schlüssiger wird die Wahl des Künstlers. Dürfte ihn an Geigers Werken die geradezu körperliche Intensität der Farbe reizen, so sind es bei dem grossen Russen insbesondere die nachsuprematistischen Streifenbilder, die mit Realitätszitaten arbeiten, diese aber gekonnt formalisiert im Schwebezustand zur Abstraktion halten.


Der "Malanlass" Tankstelle hat Martin Kaspers Malerei grundlegend verändert. Wie sehr, dass lässt sich an seinen Bildern von Kraftwerken und hochalpinen Betonbauten aus den Jahren 1997 und 1998 ablesen: "Rhône 3" etwa oder "Brenner". Zwar beherrschen auch dort Totale und Horizontale die Komposition, doch hat diese Malerei der spröden Leimfarben in ihren verhalten tonigen Valeurs und atmosphärischen Hell-Dunkelkontrasten einen ganz eigenen Reiz. In Martin Kaspers Werdegang sind sie heute fast schon "klassisch" zu nennen.


Auch wenn sich die "Tankstellen"-Serie im Vergleich dazu noch mitten in ihrer Entwicklungsphase befindet, so zeichnet sich bereits jetzt ein eminenter Gewinn für den Künstler ab: Fest steht, dass Martin Kaspers Erkundungen auf dem Terrain der Farbe ihn in noch unerforschte Gebiete seiner Kunst zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, detailgenauem Realismus, abstrahierender Unschärfe und roh belassenen Leerstellen geführt haben. Fest steht ferner, dass dies sein ganz eigener Beitrag und zugleich Ausweg aus der Malereidiskussion unserer Tage ist. Mögen die puristischen Positionen von Realismus und Abstraktion längst zum Klischee oder blossen historisch-ironischem Zitat verkommen sein und als Extremwerte der Malamplitude nicht mehr befriedigen - dazwischen gibt es noch immer genug Welten zu entdecken.


Martin Kasper hat seine Personale in der Kunsthalle Bremerhaven "Treibstoff" genannt. Man mag es durchaus auf die kaum zufälligen Ausgangspunkte seiner malerischen Recherche beziehen - auf Flughafen, Kraftwerk oder Tankstelle, allesamt Passagenorte, Relaisstellen technisch-mechanischer Bewegung, Treibstoffbasen im eigentlichen wie bertragenen Sinn. Wichtiger scheint mir jedoch die energetische Bedeutung des Begriffs für ihn selbst. In der Kunsthalle Bremen hat Martin Kasper zum ersten Mal öffentlich vorgeführt, was er im letzten Jahr als eminenten "Treibstoff" für sich entdeckt hat: die Macht, ja Opulenz der Farbe.


Ralf Beil