DIE MALEREI IST DER STAR.

Der Freiburger Maler Martin Wehmer zeigt im Morat-Insitut für Kunst und Kunstwissenschaft neue Grossformate


Diese Malerei von Martin Wehmer sieht anders aus als die, die man mit diesem Haus, dem Morat-Institut, und dem Sammler Franz Armin Morat vor allem verbindet. Für Artur Stoll, dessen Werk hier zu grossen Teilen gespeichert ist, war Malen nichts anderes als Selbstrettung - ein mit der Kraft der Verzweiflung betriebenes Sich-selbst-Verorten. Und auch bei Kurt Kocherscheidt - dem andern malerischen Schwergewicht der Sammlung - ist Malerei im weitesten Sin Expression; nicht weil sie Gefühle beschreiben würde - sondern als Ausdruck einer Suche. Als würde es darum gehen, dass einem im Bild die aus dem Blick verlorene Welt noch einmal vor Augen steht: So sieht Malerei da aus. Etwas, das schmerzlich fehlen würde, wenn es nicht wäre.


Von den Bildern Martin Wehmers, der nun in den Morat-Hallen einen starken Gastauftritt hat, würde man nicht sagen, dass sie sich derart existenziell begründen. Wehmer tritt mit grandioser Coolness als Bühnenkünstler der Malerei, nicht als suchendes Subjekt auf. Malerei heisst sein Stück, dem er mit Schwung und fulminanter Lässigkeit immer neue Akte hinzufügt. Sein Hauptdarsteller ist die Farbe. Ihr schreibt er Rollenporträts.


In Freiburg, wo Wehmer lebt und arbeitet, hängen nun 15 malerische Grossformate an der Wand, die allesamt nach 2002 entstanden - nach seiner Vorstellung hier im Kunstverein. Die gross hingestrichenen Farbvorhänge, die wir von ihm kannten, waren damals schon passé. Farbe entfaltete sich sozusagen als farbige Grafik gern auch vor dunklem Raumgrund - "Satnight" repräsentiert diesen Typus jetzt noch einmal. Und jene strahlenden Farbscheiben waren schon präsent, die man kunsthistorisch mit dem "orphischen" Kubisten Robert Delaunay verbindet. Mit Delaunay und dem euphorischen Bewegungskult des Futurismus ist im Katalog, der nun die neue Ausstellung begleitet, ein Horizont bezeichnet. Doch ohne dass der Eindruck sich einstellt, wir hätten es mit einem historisierenden Maler zu tun. Mag sein, dass Wehmer in der Vergangenheit Anregung fand - Sicherheitsbedürfnis ist dabei gewiss nicht, was ihn trieb und treibt. Seine Bilder bezeugen Wagemut. Dynamische Gegenwart ist, was die Malerei austrahlt.


In "3Part" fast sich auf vier Metern Leinwandbreite malerischer Expansionsdrang in ein rahmensprengendes Strahlengebilde. Und nun wird die Malfläche zum Hochgeschwindigkeitskurs: exemplarische Malarena einer schnelllebigen Zeit. Farbe im Stakkato gehämmert, in Linien gleich aus der Tube als plastische Zeichnung - ausgekostet wird sie in langen schillernden Zügen. Es wird übermalt und umgemalt. Malerei ist Aktion, das Bild ein cool gestyltes Aktionsmuster. Action Painting bestimmte sich seinerzeit durch eine hohe Betriebstemperatur und suggerierte den Ausdruck eines Inneren. Wehmer dagegen ist kalkulierender Operateur. Er sieht das Bild und seine sinnlichen Sensationen von aussen, steht davor, wie wir als Betrachter auch.


Ingredienzien eines Glamour-Acts
In einem grisailleartigen Malstück aus dem Jahr 2007 erreicht die Bildrhythmik höchste grafische Dichte. Farbzüge folgen einander in ratternden Salven. "Goldenfly" (2005) rotiert grossflächig und lässt helle Blattgebilde frei in den Raum fliegen. Dass sich etwas fügt und fest zueinander steht, ist strikt ausgeschlossen. Das Bild bildet Bewegung und produziert Kollisionen. Und doch tauchen in den gehetzten Farben jetzt auch Figuren auf, herbeizitiert aus dem Fundus der alltäglich reproduzierten Bilder aus Comic und Film. Tauchen auf und reklamieren kaum Gegenwart - tauchen wieder unter. Figurenspuk. Der Malerei ist er nur Vorwand. Das Ziel, das Malerei verfolgt, ist ihr eigener Fluss und Rythmus. Man sehe die malerisch aufgelöste Hose vom "Skateman" an oder das maschinelle Kreiseln in dem Gasmaskenmausgesicht der brillant zermalten "0figur".


Kein Moment, in dem sich etwas bindet, gegenständlich wirklich findet. Wir stehen in den Ausstellungshallen - die Malerei rundherum -, und wir werden angezogen, in die Nähe des Geschehens gezwungen, in die Detailsicht, die Turbulenzen: die Schlagdistanz des Machers selbst. Nach dahin, wo uns die Malhandlungen - Farbschlieren, -wülste, -schlingen - unausweichlich werden. Scharfe Grate, schillernde Regenbogensegmente, fette Flüsse, grobe Fetzen und feine Farbennebel Erregung und Spannung erzeugen. Spuren von Silberbronze und Leuchtfarben irrlichtern.


Ingredienzien eines Glamour-Acts. Und 15-mal schaut uns in dieser Ausstellung in diesen zwei Hallen die Malerei an, wie das auf den glatten Nenner einer Oberfläche gebrachte Gesicht eines Stars. Wie die gesammelten glänzenden Augen, mit denen uns "Eyes" ausdrucklos entgegenblickt. Jedem Gedanken an "Innerlichkeit" zum Hohn. Zum hohen Lob der Malerei.


Volker Bauermeister


In Badischer Zeitung vom 14. Januar 2008