Kühle Emotionen


Der in Freiburg lebende Künstler Martin Wehmer hat in den vergangenen Jahren eine kraftvolle und eigenwillige malerische Position entwickelt, die sich einer abstrakten und zugleich konkreten Formensprache bedient. Vor dem Hintergrund aktueller Behauptungen, es gäbe zurzeit eine neue Gegenständlichkeit, erscheinen Wehmers grossformatige Bilder in ihrer furchtlosen Bejahung malerischer Potenz geradezu frech und mutig.


Seine Ausstellung im Kunstverein Freiburg basiert auf zwei noch nicht abgeschlossenen und fast zeitgleich entstandenen Werkgruppen, die sich mit zwei verschiedenen Themenbereichen beschäftigen : mit einer malerischen Verdichtung von Form und Farbe und eine Entgrenzung und Ausdehnung derselben in den Raum.


Oberfläche bedeutet in Wehmers Arbeiten, mit einem geradezu körperlichen Umgang mit Farbe, Nähe zu simulieren. Doch die Nähe erstarrt in einer ornamenthaften Bearbeitung unterschiedlicher Flächensegmente oder aber erscheint nicht fassbar : Es geht um ein permanentes Wechselspiel zwischen Stillstand und Bewegung, Nähe und Ferne, Emotionalität und Verstand.


Bunte Farben können leicht zu Verwechslungen führen. Starke Farbkontraste suggerieren starke Gefühle und führen in Versuchung zu glauben, alles sei leicht, leicht konsumierbar : Bis vor wenigen Monaten nutzte Martin Wehmer die ambivalente Atmosphäre dieser Suggestion.


Vor allem die im vergangenen Jahr entstandenen Bilder handeln von einer unauflösbaren Paradoxie zwischen Oberfläche und Tiefe, zwischen Illusion und Wirklichkeit.


Wehmer nutzt seine Bildkonzeptionen wie Hilfskonstruktionen, um die Farben zusammenzuhalten, die gleichermassen darauf zu drängen scheinen, jegliche Konzeptionen zu negieren. In Bögen und Segmenten fasst er mit einer farb- interaktiven Systematik starke Farbkontraste in Teilbereiche zusammen und entwickelt mit dieser Technik in sich und nach innen vibrierende Gesamtflächen. Häufig opak und aus der schwungvollen Bewegung aufgetragen, erscheint Farbe in diesen Bildern oft als Körper, als Vorstoss in den Raum.


Den Vorzug gab Wehmer dabei immer starken Farben, auffälligen, vehementen, behauptenden. Was jedoch auf den ersten Blick so vehement und emotional aufgeladen erscheint, ist in Wirklichkeit von einer nuancierten Distanz geprägt. Oder anders gesagt, der opake Farbauftrag und die starken Farbkontraste rufen klischeehafte Vorstellungen einer vermeintlichen Heiterkeit und Leichtigkeit hervor; die Wehmer jedoch durch seine kalkulierte Farbauswahl und Maltechnik ins Leere laufen lässt.


Sein kalkulierter Umgang mit der expliziten Setzung unterschiedlicher Farbtemperamente schafft Distanz und Kälte und entwickelt somit einen Gegenpol zum Klischee eines sogenannten farbenfrohen Umgangs mit Malerei. Das starke Pulsieren der Farbklänge provoziert Wirkungsskreise, die wiederum genau dieses Pulsieren zu unterbinden scheinen. Auf diese Weise entsteht eine ständige Opposition zwischen Strenge und Offenheit, zwischen Fläche und Raum.


Die Inszenierungsqualitäten dieser Arbeiten setzen auf Kontraste : Die systematische Vorgehenweise nimmt sich hinter dem Klischee der Wirkung einer breiten Farbpalette zurück und dominiert sie dabei vollständig. Das dadurch entstehende Spannungsverhältnis provoziert eine künstliche Atmosphäre, die jedoch immer latent und nie offensichtlich erscheint.


Martin Wehmer sperrt geradezu seine Farben in segmentierte Bögen ein, die aufgrund ihrer Segmentierung Bewegung nur suggerieren. Suggerieren deshalb, denn letztendlich wird jede Bewegung, jeder dynamische Vorstoss immer wieder gestoppt. Durch diese sowohl malerisch wie atmosphärisch kalkulierte Technik, Gegensätzlichkeiten zu- und miteinander zu inszenieren, entseht in diesen Bildern eine ganz spezifische Interaktion zwischen verschiedenen formalen und farblichen Zuständen, die wiederum äquivalente seelische Zustände simulieren. In diesem Zusammenhang von Simulation zu sprechen zielt auf Wehmers Interesse, Momente von Nähe und Distanz zu verbinden und sie gleichzeitig in Opposition zueinander zu setzen.


Für seine Ausstellung im Kunstverein Freiburg entwickelte Martin Wehmer nun aus diesen Arbeiten heraus einen neuen Umgang mit dynamischen Prozessen einer Bildsprache, die ästhetisch und inhaltlich mit den vorangegangenen Arbeiten korrespondiert und gleichzeitig ein verändertes Interesse für das Verhältnis zwischen Raum und Farbe erkennen lässt : Die Formate sind noch grösser geworden, die Farben dunkel bis schwarz, und nur noch ganz nuanciert kontrastiert Wehmer sie mit hellen und leuchtenden Farben.


Die weitgreifenden Bögen werden nur noch selten unterbrochen, und der schwungvolle Farbauftrag zeigt sich sowohl in kruden wie auch präzise gesetzten Ueberlagerungen. Nicht ohne Ironie und Humor platziert Wehmer dabei kleinere und grössere Farbhaufen wie Stolpersteine im gesamtmalerischen Gefüge oder beendet Linien und Bögen abrupt und selbstbewusst. Gleichwohl erscheint die malerische Grundstimmung aufgrund der dunklen Farben und grosszügigen Raumgestaltung tiefgründiger.


Sind seine früheren Arbeiten trotz ihrer randabfallenden und formatübergreifenden Formensprache von einer immer wieder nach innen konzentrierten Dynamik geprägt, dehnt Wehmer in seinen aktuellen Arbeiten die Bildaussage stärker in die Fläche und somit auch in den Raum aus. Dadurch löst er sich von der Thematik "Farbe als Körper" und inszeniert Malerei als einen latenten Bewegungs- und Aktionsraum.


Die früheren Arbeiten sind von einem bewusst und präzise inszenierten Dilemma zwischen einer selbstbewussten Oberfläche und ihrem fehlenden Raum geprägt. Seine aktuellen Bilder scheinen dieses Spannungsverhältnis umzukehren : Die Oberfläche tritt zugunsten einer atmosphärisch optionalen Tiefe zurück.


Martin Wehmer zeigt im Kunstverein Freiburg Arbeiten aus verschiedenen Werkgruppen, die in enger Beziehung zueinander stehen und gerade aufgrund ihrer auf Heterogenität basierenden Dialogfähigkeit ein breites und aufregendes Spektrum seiner Arbeitsweise widerspiegeln. Ein Grossteil der gezeigten Bilder ist für seine Ausstellung entstanden.


Martin Wehmer bedient sich keiner im herkömmlichen Sinn gegenständlichen Formensprache und spitzt dennoch einen oszillierenden Prozess zwischen unterschiedlichen Wirklichkeits- und Realtitätserfahrungen zu : Seine Arbeiten reflektieren Erfahrungswelten nicht auf einer gegenständlichen, sondern atmosphärischen und enigmatischen Ebene. Wehmers gegenstandsloser Umgang mit der Inszenierung heterogener Zustände eröffnet ungeahnte Denkräume.


Dorothea Strauss, 2002