10 Fragen an Martin Wehmer


Der Maler Martin Wehmer, 1966 in Blankenstein/Hattingen geboren, hat über die Jahre in mehreren Städten gelebt und gearbeitet, darunter Freiburg und Basel. Seine Bilder wurden dort, aber auch in Köln, Seoul, Peking und weiteren Orten ausgestellt. 1996 erhielt er den Kunstpreis der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken.


Gefördert durch das Internationale Austausch- und Atelierprogramm der Region Basel (iaab) ging der Maler 2003 nach Edinburgh und 2008 nach Peking, wo er seitdem lebt.


2009 war er Mitglied des internationalen Kuratorenteams für die 798 Beijing Biennale und begann an der Central Academy of Fine Arts in Peking zu unterrichten. Seit 2010 lehrt Wehmer außerdem im Rahmen eines Masterstudiengangs, den die Universität der Künste Berlin zusammen mit der China Academy of Art in Hangzhou durchführt. Martin Wehmer engagiert sich besonders für junge chinesische Künstler, die seiner Meinung nach viel zu selten Gelegenheit haben, ihre Werke einem größeren Publikum zu präsentieren.


1) Womit haben Sie sich in der letzten Zeit beschäftigt?
Vor allem mit der Vorbereitung auf die „Art Beijing“, die vom 29. April bis 2. Mai 2011 in Peking stattfindet. Ich habe dort im Rahmen des nicht-kommerziellen Programms ART PLATFORMS zwei Stände kuratiert, zum einen für sechs Studenten der Chinesisch-Deutschen Kunstakademie in Hangzhou und zum anderen für das 2002 von Marc Hungerbühler gegründete THE:ARTIST:NETWORK BJ. Der zweite Stand hat das Motto “New York School Bar” und ist sowohl eine Gruppenausstellung, als auch eine Hommage an den amerikanischen Modernismus und öffentliche Intervention. Am Stand werden Martinis mit Oliven serviert.


Ansonsten bin ich ja Maler und stehe jeden Tag im Atelier und male meine Bilder. Das Kuratieren läuft nebenbei.


2) Wann und wie kamen Sie zum ersten Mal in Berührung mit China?
Eigentlich 2007, als ich die Bewerbungsunterlagen für die Christoph Merian Stiftung ausgefüllt habe und ein Kreuz bei China machte. Ich habe einfach gedacht, Peking ist die Stadt, wo am meisten los ist.


Im Februar 2008 kam ich dann mit einem Halbjahresstipendium nach China. Ich wusste schon nach drei Wochen, dass ich länger bleiben will. Erstens, weil ich da, wo ich vorher gewohnt hatte, weg wollte. Zweitens, weil ich hier von Anfang an jeden Tag etwas zu tun hatte und ich arbeite einfach gern. Peking und Freiburg sind sehr gegenpolig, die Geschwindigkeit ist extrem unterschiedlich.


3) In welcher Weise hat die Begegnung mit China Ihr Schaffen oder Ihr Leben beeinflusst?
Was das Schaffen angeht, würde ich das so formulieren: Im ersten Jahr muss man viel organisieren und sich an die Umgebung gewöhnen, was nicht leicht ist. Man braucht ein Atelier, man braucht Material, das Material ist anders, man kennt sich noch nicht so gut aus. Aber man nimmt auch seine Prägungen mit und versucht zu sehen, was damit künstlerisch passiert.


Im zweiten Jahr sind es eher Assimilationsprozesse. Ich habe da ganz bewusst und unbewusst Anlässe für meine Malerei gesucht, die etwas mit China zu tun hatten. Ich habe dann ganze Serien von Bildern zu dem Thema „Sun Wukong“ gemacht. Weil ich diese Abstraktion der Farbstreifen, wie auf den klassischen Pekingoper-Masken zu sehen, interessant fand, das passte ganz gut zur „Grammatik“ meiner Bilder.


Und im dritten Jahr emanzipiert man sich eigentlich wieder vom Ort und wird unabhängiger. Man schafft Distanzen und schafft wieder eher aus sich selbst heraus. Und in der Phase bin ich gerade.


4) Was war Ihr schönstes Erlebnis in China?
Als künstlerisch-professionelle Erfahrung war es wohl die 798 Beijing Biennale 2009. Nicht nur wegen der Kunst allein, sondern wegen der vielen Menschen verschiedenster Nationen und der Arbeitsstrukturen, die da zusammenkamen. Man ging ganz oft zusammen essen und ich habe gespürt, was mir früher in Deutschland nicht so bewusst war, dass Kunst auch etwas sehr Friedensverstärkendes haben kann, wenn Menschen zusammenkommen und zusammenarbeiten. Das hatte ich so gar nicht erwartet, denn ich bin sonst eher nicht so ein Festivalmensch.


5) Was war Ihr unerfreulichstes Erlebnis in China?
Man kann manchmal in der Kooperation mit Partnern, z.B. mit Galerien, die Widerstände nicht erkennen. Es gibt immer wieder etwas, was man nicht begreift, nach wie vor sind die Systeme oft nicht kompatibel. Es gibt dann Einmischungen ins Kuratorium oder Versuche, zu steuern oder kommerzielle Eingriffe in die Arbeit. Das finde ich irritierend und manchmal auch zeitverschwendend.


Als eine Stärke und Schwäche zugleich erscheint mir, dass sich in China Dinge ganz schnell entwickeln, ganz schnell viel geredet wird, ganz schnell gedacht und geplant wird. Leider liegt die Ausfallrate bei 50-70 Prozent. Da hat man sich professionell Gedanken gemacht und dann passiert gar nichts.


6) Haben Sie eine chinesische Lieblingsspeise?
Es gibt so viele gute Speisen….


7) Was ist für Sie „typisch chinesisch“?
Ich weiß gar nicht, ob man das so sagen kann. Ich finde Chinesen sind doch sehr unterschiedlich. In Peking lernt man ja auch Menschen aus dem ganzen Land kennen, die Mentalitäten unterscheiden sich schon sehr. Manchmal vielleicht so ein gewisser Hang zum Geld…


8) Welche Kulturleistung aus China beeindruckt Sie am meisten?
Der kalligraphische Strich als Einfluss auf den abstrakten Expressionismus des Westen.


9) Mit wem in China würden Sie gerne einen Tag tauschen?
Mit Wen Jiabao. Mich würde wirklich interessieren, wie er Land und Leute sieht.


10) Welche Gewohnheit oder Idee aus China würden Sie gerne in Deutschland übernehmen?
Wenn ich in Hangzhou lehre, müssen die Studenten Bildbesprechungen machen. Ein, zwei Mal pro Woche muss ein Student sich und seine Arbeit vorstellen und die anderen müssen der Reihe nach ihre Kritik abgeben. In Deutschland passiert es dabei manchmal, dass die Kritik nicht wirklich fachlich, sondern psychologisierend ausfällt, manchmal geht es auch unter die Gürtellinie. Im Gegensatz dazu spüre ich in China bei den Studenten viel mehr Solidarität. Das habe ich in Deutschland in Künstlergruppen noch nie so erlebt. Diese Solidarität, also quasi Liebe für einander, hat mich sehr beeindruckt. Das wäre etwas, was wir in Deutschland brauchen. Es kann ja sein, dass es in China Defizite beim Individualismus gibt, aber die kollektive Emotionalität haben wir so in Deutschland nicht.


Copyright: Deutsch-Chinesisches Kulturnetz
April 2011